Bajuwarische Siedlung Kiltoahinga – Grabungsbericht

Gilching ist von Norden nach Süden gewachsen. Das Altdorf mit den Bauernhöfen um die Vitus-Kirche liegt heute am Rand des Ortes. Das tausend Jahre ältere, frühmittelalterliche Dorf lag noch weiter nördlich in Richtung Alling. Wie die archäologischen Grabungen zeigten, stand das frühmittelalterliche „Kiltoahinga“ zwischen Kirchgasse und Allinger Straße. Auf Luftbildern ist zu sehen, dass sich das frühmittelalterliche Dorf noch ein gutes Stück weiter nach Norden und nach Westen ausdehnte und eine bemerkenswerte Größe hatte.

Den Platz für ihr Dorf hatten die ersten Siedler nach den Römern sicher mit Bedacht gewählt: In der Nähe sorgte ein Bach für frisches Wasser, oben auf dem Berg gibt es beste Böden für den Ackerbau und vor allem war mit der nahen Römerstraße wichtige Infrastruktur vorhanden. Interessant waren für die Bajuwaren offenbar auch die römischen Villen. Nicht etwa, um selbst dort zu wohnen: die Bajuwaren zogen Holzhäuser den römischen Steinhäusern vor. Sondern um nach Verwertbarem und Seltenem zu suchen. Stets findet man in den hiesigen frühmittelalterlichen Siedlungen auch römisches Fundmaterial wie Münzen, die gelocht an der Kette oder am Gürtel getragen wurden. Beliebtes Sammelobjekt scheint Terra Sigillata gewesen zu sein, das römische Geschirr von glänzend roter Farbe. Auch in Gilching stand nahe dem frühmittelalterlichen Dorf eine Villa, die sicher noch als Ruine zu erkennen war. Und natürlich wurden auch in den Grubenhäusern von Kiltoahinga bei der Grabung römische Scherben und ein Stück eines bunten, keltischen Glasarmringes gefunden, die frühe bajuwarische Sammler in der Umgebung aufgehoben und mit nach Hause genommen hatten.

Die Grabung deckte ein Stück des frühmittelalterlichen Dorfes auf. Dabei wurden die Erschließungsstraße und die Baufenster ausgegraben, in denen heute die Häuser stehen. Der Platz zwischen den Häusern bleibt auf dem Plan frei, weil dort nicht gegraben werden durfte. Es zeigte sich, dass die Dichte der Befunde, also die Zahl der Gruben, Pfosten und Grubenhäuser, zum Hang Richtung Kirchgasse abnimmt und die Grenze der Siedlung im Osten erreicht ist. Im Norden und Westen dagegen liegen die Befunde dicht an dicht, in diese Richtungen vor allem setzt sich das alte Kiltoahinga fort.

Rekonstruktion eines bajuwarischen Langhauses im Bajuwarenhof Kirchheim.

Die frühmittelalterlichen Siedlungen bestanden in der Regel aus mehreren umzäunten Höfen, von denen jeder neben einem großen, immer west-ost-orientierten Wohn-Stall-Haus eine Anzahl Nebengebäude besaß wie Scheunen, Grubenhäuser oder Speicher. Die Pfosten der Gebäude waren direkt in die Erde eingegraben. Diese Pfostengruben zeigen den Archäologen den Standort eines tragenden Pfostens an, mehrere Pfostengruben in einer Reihe bedeuten eine Wand. Zwischen die Pfosten waren Balken gelegt oder Ruten geflochten, die mit Lehm bestrichen die eigentliche Wand bildeten. Diese Lehmwände waren in Gilching weiß gekalkt, wie Funde von glatt gestrichenen Lehmbrocken mit Kalkstrich beweisen. Nun ist auf dem Plan in Gilching ein Gewirr von Pfosten zu sehen, aus denen sich kein Haus zusammensetzen lässt. Das liegt daran, dass in dem Plan Lücken sind, Stellen, an denen nicht gegraben wurde, vor allem aber daran, dass die Siedlung mehrphasig ist.

Mindestens vom 7. bis zum 12. Jahrhundert lebten an dieser Stelle Menschen, bauten Häuser, rissen sie wieder ein und bauten neue daneben. Sämtliche Um-, An- und Neubauten haben ihre Spuren in Form von Pfostengruben in der Erde hinterlassen und zu dieser nicht entwirrbaren Menge an Standspuren geführt. Die Pfosten können bis zu einem Meter tief in den Boden eingegraben sein. Die Haltbarkeit eines Holzgebäudes, dessen Pfosten nicht wie beim späteren Fachwerkbau auf Mauern ruhen sondern in der Erde stecken, wird auf etwa 30 bis 50 Jahre geschätzt. Waren die tragenden Balken verrottet, konnte man nicht wie im Fachwerk einzelne Hölzer herausziehen und ersetzen, sondern musste das ganze Haus an anderer Stelle neu bauen. So kommt es, dass die frühmittelalterlichen Siedlungen „wandern“.


Rekonstruktion eines Grubenhauses im Bajuwarenhof Kirchheim

 Neben den Pfostengebäuden gibt es noch eine andere Bauform: das Grubenhaus. Das Grubenhaus ist wegen seiner Erhaltung in der Erde und seines relativen Fundreichtums bei Archäologen sehr beliebt. Es besteht aus einer 2,50 bis 6 Meter langen, rechteckigen Grube mit Lehmwänden im Boden, auf der ein Satteldach aufsaß, das durch Pfosten im Inneren des Gebäudes gestützt wurde. In Gilching besaßen die Grubenhäuser Fußböden aus gestampftem Lehm, aus Holzdielen und einmal sogar einen Estrichboden. Manchmal waren Einbauten vorhanden wie eine große Feuerstelle oder Standspuren eines Gewichtswebstuhls. Die Grubenhäuser wurden nicht zum Wohnen, sondern zum Arbeiten genutzt. Fiel das Dach ein, wurden sie mit Abfall ebenerdig aufgefüllt. Abweichend von den anderen besaß eines der Grubenhäuser überaus massive Pfosten, die nicht nur ein Dach, sondern ein weiteres Stockwerk tragen konnten und das von uns daher als Speicherbau interpretiert wurde.

In die Erde eingegraben war auch eine flache, rechteckige Grube mit einer „Zunge“ an der Südseite. In und um die Grube war der Kies rot verglüht, hier brannte ein mächtiges Feuer. Es wird sich um einen Ofen oder eine Darre mit einem Schürkanal gehandelt haben.

Außer den Grubenhäusern und Pfostengruben fanden wir einen Brunnen, eine Latrine, Abfallgruben und eine Grube mit eineinhalb toten Pferden, das vollständige Pferd hatte noch ein Hufeisen am Huf.

Skizze eines Grubenhauses mit einem Webstuhl.
Quelle: Landschaftsmuseum Obermain in Kulmbach

Auffallend und unüblich ist nun die große Zahl an Grubenhäusern. Da in diesen Hütten häufig Gewichte von Webstühlen gefunden wurden, geht man davon aus, dass in den Grubenhäusern Webstühle standen. In Gilching fanden wir häufig kleine Messer in den Grubenhäusern, vielleicht zum Abschneiden der Fäden, außerdem Spinnwirtel, ein Webschwert und viele ganze oder zerbrochene Webgewichte. Einige der Gewichte aus Ton, die beim Weben an den Kettfäden hingen, waren gestempelt, eines trug ein Kreuz, ein anderes ein Kreisauge als Markierung. Möglicherweise hatten sich die Kiltoahinger auf die Herstellung von Textilien spezialisiert. Es gibt noch weitere Hinweise für handwerkliche Tätigkeiten: So fanden wir Reib- und Schleifsteine, Werkzeuge aus Knochen und blasig aufgeworfene Scherben, Fehlbrände, die aus einem Töpferofen in der Nähe stammen müssen. Außerdem viele Eisenschlacken, Abfall der Eisenverhüttung und Reste der Verhüttungsöfen.

Dem Essen waren die Kiltoahinger offenbar nicht abgeneigt: Überall lagen große Mengen Tierknochen, zum Teil mit Schnittspuren, Essensreste, die irgendwo vergraben wurden. Und schließlich gab es auch noch eine Menge zerbrochenes Geschirr wie Kugeltöpfe mit Wellenbandverzierung, Stempelmuster und sogar importiertes Geschirr mit roter Bemalung. Wenn die Töpfe zerbrachen, fanden die Kiltoahinger für die Scherben noch eine sinnvolle Verwendung. Einige Scherben waren oval oder rund als improvisierte Spielsteine zurechtgeschlagen.

Zum Schluss bleibt die angenehme Aufgabe, den Mitgliedern des Vereins Zeitreise für ihre Mithilfe bei der Grabung 2003 zu danken, während der die Idee zu dem Verein entstanden ist.

Ines Gerhardt M.A., Grabungsleiterin