Leben in Gilching anno 1859 – Physikatsbericht des Landgerichtes Starnberg

Nachfolgender Beitrag stammt aus „Oberbayerisches Archiv“ 121. Band; Hg. Historischer Verein von Oberbayern; München; 1997; S. 169 – 170.

Karl Schöttner, der Verfasser des Berichts, wurde am 7.11.1807 im München geboren und am 25.1.1832 zum Priester geweiht. Karl Schöttner war seit 12.9.1850 Pfarrer in Gilching (Erzdiözese München-Freising), wo er am 15.8.1878 verstarb.

Gilching

Vom königlichen Pfarramte Gilching
an den königlichen Gerichtsarzt
in
Starnherg
Gilching den 6ten Dezember 1859.
*
Das
königliche Pfarramt Gilching
an das
königliche Landgerichts-Physikat
Starnberg.

Auf die sehr verehrte Zuschrift vom 18ten April heurigen Jahres ist gehorsam Unterzeichneter bereit, in den im Kreisblatte N[ume]ro 49, pag[ina] 677, Jahrgang 18581 angeführten Punkten, worüber bestimmter Aufschluß gegeben werden kann, Nachstehendes bekannt zu geben.

A. in topographischer Hinsicht:

Der Hagel kömt nach den gemachten Berechnungen im Pfarrbezirke Gilching alle zwölf Jahre Einmal vor, die Wintersaat beginnt mit Mitte September, die Sommersaat mit Ende März; die Erndte nimmt ihren Anfang um Jakobi2, längstens Anfangs August.

Der Boden ist verschieden. Auf dem Berge schwer, in der Ebene hingegen trocken, mittelmäßig, selbst schlecht und hat Kießunterlage.

Das Wildmoos, gegen 90 Tagwerk enthaltend, und noch Eines mit ohngefähr 40 Tagwerken wird zum Torfstiche verwendet. Der Ackergrund steht in Hinsicht auf Wiesen nicht im gehörigen Verhältniß, indem Ersterer ¾ Theile zu den Letzteren einnimmt.

Die Waldung ist bedeutend, wird aber von Tag zu Tag mehr in Oedung als auch Ackerland umgewandelt.

 B. in ethnographischer Beziehung:

Charakteristisches in der physischen und intellektuellen Konstitution ist ausser einer hübschen Portion Falsch- und Rohheit nicht wahrzunehmen. Die Feuerungsweise geschieht meistens mit Torf. Die Fenster in den Wohnhäusern sind verhältnißmäßig sehr klein, die Fußböden mittelmäßig von Brettern, die Aborte und Dungstätten unmittelbar am Hause oder von dem Wohnhause vis a vis.

Die Nahrungsweise, die großen Bauern ausgenommen, ist vorherrschend vom Pflanzenreich, ihr Grundsatz ist viel und gut. Bier und Brandwein sind die Hauptelemente, mit der Ernährung der neugebornen Kinder geht es aber höchst nachläßig, bei den unehlichen Kindern selbst gewissenslos zu.

Ackerbau und Holzarbeit ist die Beschäftigung, wozu die Kinder leider in manchen Familien zu früh und zu anstrengend verwendet werden. Die Ruhezeit ist gemessen, die Lagerstätte meistens feucht und schlecht.

Wohlstand ist nur bei einzelnen Anwesen zu finden, hingegen behalten immer noch unter den Ansäßigen diejenigen, welche sich anständig ernähren und nicht überschuldet sind, bei weitem vor den Armen die Oberhand.

Einzelne wenige Häuser ausgenommen wäre Reinlichkeit sehr wünschenswerth, aber selten antreffbar, die Kleidung ist entweder hoffährtig oder recht schmutzig und da kein Wasser in der Nähe, so weiß man vom Baden nichts.

An Vergnügungen als Tanz, Spiel und Trinkgelagen fehlt es nicht, und der Hauptgenus ist ein Rausch.

Im ehelichen Leben wird es nicht genau genomen, die Fruchtbarkeit ist aber bei den Verehlichten nicht so groß wie bei den Ledigen, die aber in der frühesten Jugend ein sehr ausschweifendes Leben führen. Die Wöchnerinnen halten ihre Kindbettzeit schlecht und gehen viel zu früh wieder an ihre täglichen, oft schweren Arbeiten.

Professor oder Ketzer wird in diesem Pfarrbezirke keiner, zu Hause bei ihren Ältern und unehlichen Kindern ist es ihnen am liebsten; nur nicht fort, um etwas zu lernen oder zu dienen; ihre religiöse Haltung ist meistens äußerlicher Schein und sie neigen sich etwas stark zum Unglauben.

Indem man nun glaubt, wenigstens in der Haupt[sache] dem Wunsche des Herrn Gerichtsarztes nachgekommen zu seyn und nähere Aufschlüße nicht gegeben werden können, geharret in ausgezeichneter Hochachtung

 

Das königliche Pfarramt Gilching

Schöttner, Pfarrer

Gefunden von Carolin Vogt und aufbereitet von Siegfried Floegel
Beide: Zeitreise Gilching e. V.

1) Königlich Bayerisches Kreis-Amtsblatt von Oberbayern, München 1854-…; (bis 1853: Intelligenzblatt der kgl. Regierung von Oberbayern).
2) St. Jakobstag = 25. Juli.